Schlafstadien und Schlafarchitektur

oder: Was ist Schlaf - Fakten über den Schlaf

Der folgende Text ist mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe-Verlages dem Buch "Schlaftraining - Ein Therapiemanual zur Behandlung von Schlafstörungen entnommen.

 

In den letzten 60 Jahren haben wir mehr über den Schlaf erfahren als in den 6000 Jahren davor. Zu diesem Fortschritt hat vor allem die erstmalige Erfassung und Aufzeichnung der Gehirnströme, des EEG`s (Elektroencephalogramm), in den 30er Jahren beigetragen. Die EEG-Analyse erlaubte es dem Wissenschaftler zu erkennen, wie aktiv das Gehirn gerade ist. Erst nach der Entdeckung des EEG's konnte bewiesen werden, dass Schlafen ein dynamischer Vorgang ist, eine spezielle Aktivität des Gehirns, die von komplizierten und präzise arbeitenden Mechanismen kontrolliert wird. Schlaf ist also alles andere als ein todesähnlicher Zustand.

Typisches EEG mit Alpha-Rhythmus (12-14 Wellen/sec) im entspannten Zustand. Mit Aktivierung der Gehirnaktivität ("Wieviel ist 84 x 16) kommt es innerhalb von Millisekunden zu einer Alphablockade mit anschließenden schnellen und kleinen Beta-Wellen: Anhand solcher EEG-Wellen läßt sich also von außen beobachten, in welchem Bewußtseinszustand ein Mensch ist.

Der bisherige Fortschritt der Schlafforschung spiegelt sich am besten in der Gründung der sog. Schlaflabors wider: In den letzten 10 Jahren fand im deutschsprachigen Raum eine rasante Verbreitung solcher spezialisierter schlafmedizinischer Zentren statt, in denen die nächtlichen Vorgänge genau aufgezeichnet und analysiert werden können.

 

Eine Nacht im Schlaflabor: Schlafstadien und Schlafarchitektur

Für die Analyse des Schlafes müssen Aufzeichnungen von mehreren Biosignalen des Körpers vorgenommen werden:

Anhand dieser drei Stromkurven kann man erkennen, dass sich der Schlaf in verschiedene Stadien einteilen lässt: Diese Stadien spiegeln unterschiedliche physiologische Körperzustände, aber auch jeweils verändertes Erleben wider.

Heute geht man von fünf Schlafstadien aus, die sowohl bei gesunden Schläfern wie auch bei Schlafgestörten Nacht für Nacht in jeweils unterschiedlicher Ausprägung vorkommen.

Stellen wir uns nun vor, dass in dem Patientenraum eines Schlaflabors ein gesunder Testschläfer für die Schlafregistrierung vorbereitet wurde und bereits im Bett liegt. Auf seinem Kopf und im Gesicht sind einige Elektroden befestigt: Sie sollen die für die Schlafanalyse notwendigen Biosignale des Körpers auffangen und weiterleiten. In einem benachbarten Raum steht das Gerät (ein sog. Polygraph), welches in der Lage ist, diese aufgefangenen Signale um ein Vielfaches zu verstärken und aufs Papier (oder auf einem Bildschirm) graphisch darzustellen. Für den Schlafforscher ist es jedes Mal aufs Neue ein faszinierendes Mysterium, die sich im Schlaf verändernden Kurven zu beobachten und zu analysieren.

Wie sehen nun die Vorgänge während einer Nacht im einzelnen aus?

 

Wachzustand

Am Anfang der Nacht, wenn der Schlaf noch nicht eingetreten ist und der Testschläfer entspannt, bei ausgeschaltetem Licht im Bett liegt, zeigt sich im EEG ein für den entspannten Wachzustand typischer Alpha-Rhythmus. Das EOG ist unruhig, denn die Augen bewegen sich noch, das EMG weist eine hohe Muskelspannung auf.

Abbildung Stadium Wach

Die Abbildung zeigt 30 Sekunden eines typischen entspannten Wachzustandes mit vorherrschenden Alpha-Wellen im EEG. In den letzten 10 Sekunden kommt es zu einer Augenbewegung und nachfolgender Muskelaktivität im Kinn. Möglicherweise hat der Testschläfer hier gerade auf die Uhr gesehen und über die Wechselsprechanlage angekündigt, dass er jetzt das Licht lösche.

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Stadium 1: Das Einschlafstadium

Nach einer gewissen Zeit (es sind bei einem gesunden Schläfer i.d.R. Minuten) setzt das Einschlafstadium ein. Der Alpha-Rhythmus des wachen Gehirns wird allmählich durch langsamere, kleinere Theta-Wellen abgelöst. Das EOG zeigt pendelförmige, rollende Augenbewegungen an, die dem Schlafforscher eindeutig signalisieren: Der Einschlafvorgang wird eingeleitet. Dieses Stadium-1 ist ein Übergangsstadium zwischen Wachen und Schlafen, welches durch bizarre Bilder und Gedanken begleitet werden kann (sog. hypnagoge Halluzinationen). Subjektiv entspricht diesem Stadium das Gefühl des Dösens. Nicht selten schreckt man aus diesem nur sehr kurz andauerndem Stadium auf, ohne genau sagen zu können, ob man bereits geschlafen hatte oder nicht. Das Bewusstsein ist hier nämlich noch bei weitem nicht abgeschaltet. Zehn Prozent der Nacht verbringt der Mensch im Zustand des Wachens und im Stadium 1.

Abbildung Stadium NREM-1

Die typischen Anzeichen des Einschlafvorgangs: Das EEG erscheint im Vergleich zum Wachzustand wie eine Ziehharmonika auseinandergezogen; in den Augen treten rollende Bewegungen auf.

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Stadium 2: Der leichte Schlaf

Nach einigen Minuten im Stadium 1 verändert sich das Hirnstrombild wieder: Es erscheinen höhere Wellen, die von sporadisch auftretenden, raschen Wellen - sog. Schlafspindeln - überlagert werden. Zwischendurch treten im Kurvenbild des Stadiums 2 vereinzelte, hohe und langsame Ausschläge auf (sog. K-Komplexe: der Name kommt daher, dass man - mit viel Phantasie - bei dieser markanten Figur, den Buchstaben K entdecken kann).

Die Augen sind in diesem Stadium bereits ruhig und die Augenlider sind aktiv geschlossen. Der Muskeltonus hat sich gegenüber dem Wachsein deutlich verringert. Der Organismus beginnt, sich nach außen hin abzuschirmen. Inzwischen gehen fast alle Schlafforscher davon aus, dass dieses Stadium als der eigentliche Schlafbeginn angesehen werden kann. Aber auch in diesem Stadium ist man noch vom Bewusstsein her nicht "ganz weg". Dies zeigt sich z.B. ganz deutlich daran, dass man hier - auch als Normalschläfer - relativ leicht weckbar ist. Schlafgestörte Menschen behaupten häufiger, wenn sie aus Stadium 2 aufwachen, noch gar nicht geschlafen zu haben. Ihre häufig grüblerischen Gedanken laufen offenbar auch noch während des Schlafens selbständig weiter.

In diesem leichtem Schlafstadium verbringt man ungefähr die Hälfte der gesamten Schlafzeit.

Abbildung Stadium NREM-2

Deutlich erkennbar ist der sog. "K-Komplex" in der Mitte dieses 30-Sekunden EEGs. Mit Auftreten eines K-Komplexes (oder einer Schlafspindel) gilt der Mensch per Definition als "eingeschlafen"

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Stadium 3 und 4: Der Tiefschlaf

Wenn die Nacht weiter voranschreitet, verändert sich das Kurvenbild der Gehirnströme noch stärker. Die EEG-Wellen werden immer höher und langsamer. Es sind sog. Delta-Wellen, die auch von einem ungeübten Beobachter sofort als solche erkannt werden können. Der Unterschied zwischen Stadium 3 und 4 ist lediglich quantitativ und bezieht sich auf die prozentuelle Verteilung der Delta-Wellen pro Registrierzeit. Die Schlafstadien 3 und 4 werden zusammen als Tiefschlaf bezeichnet. Die Augen sind ganz ruhig, der Muskeltonus signalisiert tiefe Entspannung, der Blutdruck fällt ab, Atmung und Herzschlag werden langsamer. In diesem Stadium ist die Weckschwelle ziemlich hoch und die Körperfunktionen insgesamt auf "Sparflamme" bzw. Regeneration eingestellt. Man kann es u.a. daran sehen, dass im Tiefschlaf vermehrt Wachstumshormone ausgeschüttet werden. Offenbar ist der Tiefschlaf an der körperlichen Erholung maßgeblich beteiligt.

Abbildung Tiefschlaf Stadium NREM-4

Der Tiefschlaf mit seinen hohen langsamen Deltawellen.

Dennoch ist das Bewusstsein auch in diesem Schlafstadium - wenn auch stark im Hintergrund - nicht ganz abgeschaltet. Bedeutsame, lebenswichtige Signale von außen werden durchaus registriert und führen zum Aufwachen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des sog. "Ammenschlafs": Eine Mutter - egal wie tief sie schläft - wacht beim leisestem Wimmern ihres Babys aus jedem Schlafstadium auf.

Der erwachsene Mensch verbringt ungefähr 20% der Nacht in diesem Stadium. Im Alter nimmt dieser Anteil deutlich ab. Sie sehen also, dass der häufige und verständliche Wunsch vieler schlafgestörter Menschen, endlich mal eine ganze Nacht tief und fest zu schlafen, in der gesunden Schlafphysiologie gar nicht vorgesehen ist.

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Stadium REM: Der "Traumschlaf"

80 bis 100 Minuten nach dem Einschlafen endet der Tiefschlaf ziemlich abrupt, meistens begleitet von einer Veränderung der Körperstellung. Nach dieser kurzen Bewegungsepisode folgt einige Minuten lang wiederum das Stadium 2. Doch plötzlich, innerhalb von Sekunden verändert sich das Kurvenbild nochmals vollständig. Ein neues Schlafstadium kündigt sich an: Die Muskelspannung verschwindet fast völlig, die Gehirnströme sind, ähnlich wie beim Einschlafen, klein und schnell. Im EOG treten vereinzelte oder ganze Salven rascher Augenbewegungen auf (daher die Bezeichnung REM = Rapid Eye Movement). Die vorherige vegetative Ruhe ist vorbei: Herzschlag, Blutdruck und Atmung werden schneller und unregelmäßiger, bei einem Mann kommt es mit jeder REM-Phase zu einer Erektion, bei einer Frau zu einer Zunahme der klitoralen Durchblutung.

Der erwachsene Mensch verbringt ungefähr 20 % seiner Schlafzeit in diesem Stadium. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist es wesentlich mehr.

Abbildung Stadium REM

30 Sekunden eines typischen REM-Schlafes mit schnellen kleinen Wellen im EEG, heftigen Augenbewegungen (REMs) und gelähmten Kinnmuskel

Der REM-Schlaf wird auch als Traumschlaf bezeichnet: Wenn man aus diesem Stadium nämlich geweckt wird, berichtet man in 80% der Fälle geträumt zu haben. Nicht zuletzt deswegen übte diese Phase große Faszination auf die Schlafforscher aus. Man stellte auch bald fest, dass die merkwürdige, extreme Erschlaffung der Skelettmuskulatur aktiv vom Gehirn gesteuert wird. Ohne sie würde der Schläfer alle geträumten Bewegungen auch tatsächlich ausführen. Das hätte natürlich verhängnisvolle Folgen. Von daher sorgt unser Gehirn dafür, dass wir im REM-Schlaf mehr oder weniger wie gelähmt sind (deswegen vielleicht das Gefühl in einigen Alpträumen, weglaufen zu wollen, aber nicht von Stelle zu kommen). Das berüchtigte Schlafwandeln tritt hingegen nicht während des REM-Schlafes, sondern während der Tiefschlafphasen auf.

Über die Rolle der merkwürdigen rapiden Augenbewegungen ist man sich bis heute in der Schlafforschung noch nicht ganz einig: Die naheliegende Vermutung, dass dadurch die Traumbilder verfolgt werden, stellte sich als zu einfach dar.

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Während dem Tiefschlaf weitgehend die Aufgabe einer körperlichen Regeneration zugeschrieben wird, scheint es so, dass der REM-Schlaf für die psychische Erholung notwendig ist. Viele Ergebnisse bestätigen Zusammenhänge zwischen dem REM-Schlaf, der Gedächtnisfestigung und der Stimmung. Aber auch hier ist die Diskussion der Schlafforscher noch nicht endgültig abgeschlossen.

Zusammenfassend können wir also festhalten, dass die gesunde, natürliche Schlafphysiologie eines Menschen durch das Auftreten verschiedener Schlafstadien mit jeweils unterschiedlichen Merkmalen, Ausprägungen und Bedeutungen für den Organismus gekennzeichnet ist. Tabelle 1 stellt die bisherigen Informationen kurz zusammen.

Stadien Hirnstromwellen (EEG) Augenmuskeln (EOG) Kinnmuskel (EMG) Prozent Gesamtschlaf
Wach Alpha-(8-13 Hz) und Betawellen (15-35 Hz) rasche Augenbewegungen wechselnde Muskelspannung 5%
NON-REM Stadium 1 Alpha-, Beta- und Theta-Wellen (4-7 Hz) langsame, rollende Augenbewegungen Muskelspannung geringer als im Wachzustand 5-10%
Stadium 2 Schlafspindeln (12-14 Hz) und K-Komplexe) keine Augenbewegungen Muskelspannung geringer als im Wachzustand 50%
Stadium 3/4 Deltawellen (1-4 Hz) keine Augenbewegungen Muskelspannung geringer als im Wachzustand 20%
REM Beta-Muster mit Alpha- und Thetawellen rasche Augenbewegungen Muskelspannung auf Null. Gelegentliche Zuckungen 20-25%

Tabelle 1: Übersicht Schlafstadien

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Schlafarchitektur

Nicht nur das "richtig" aufgeteilte Vorkommen der Schlafstadien ist für einen erholsamen Schlaf wichtig. Auch die zeitliche Reihenfolge, die Anordnung, in welcher die Stadien in der Nacht vorkommen, ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Die folgende Abbildung (in der Schlafforschung Hypnogramm genannt), zeigt Ihnen einen zwar idealisierten, doch für einen gesunden Schläfer typischen Ablauf der Nacht (das sog. Schlafprofil), mit dem dazugehörigen Wechselspiel der unterschiedlichen Schlafphasen (das Wechselspiel wird in der Schlafforschung als Schlafarchitektur bezeichnet).

Abbildung schematisches Schlafprofil

Sie können auf dem Schlafprofil das Auf- und Absteigen einer Schlaftreppe verfolgen: Jede Treppenstufe entspricht einem Schlafstadium. Nach dem Einschlafen (Stadium 1), "schreitet" man über Stadium 2 in den Tiefschlaf (Stadium 3 und 4). Nach ca. 90 (+/- 10) Minuten tritt dann die erste REM-Episode auf (schwarzer Balken auf der Graphik): Der erste Schlafzyklus ist abgeschlossen. Im weiteren Verlauf der Nacht schließen sich nun weitere Abfolgen solcher Schlafzyklen an, die jeweils 90-120 Min. dauern. Die Schlafstadienanteile verschieben sich im Laufe der Nacht innerhalb der Zyklen: Zu Beginn der Nacht dominiert der Tiefschlaf und die ersten REM-Schlafphasen sind relativ kurz. Gegen Ende der Nacht verschwindet der Tiefschlaf fast vollständig und die REM-Schlafphasen nehmen an Dauer zu. In der zweiten Nachthälfte werden die Körperbewegungen häufiger, die Weckschwelle beginnt zu sinken, die Körpertemperatur steigt an, die sog. "Stresshormone" werden vermehrt ausgeschüttet. Kurzum: Der Organismus bereitet sich auf das Aufwachen vor. Es ist auch einleuchtend, dass man gegen Morgen nicht aus dem tiefen Schlaf aufwachen sollte - man würde dann nämlich enorme "Anlaufprobleme" am Anfang des Tages haben.

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Wir haben Sie am Anfang des Abschnittes darauf hingewiesen, dass das abgebildete Schlafprofil - aus Anschauungsgründen - sehr idealisiert ist. Was bei jedem gesundem Schläfer in der Nacht in der Realität vorkommt, sehen Sie in der folgenden Abbildung: Sie können auch hier den Treppenverlauf beobachten, sie sehen aber deutlich, dass dieser Verlauf nicht so glatt ist und durch etliche kurze Wachepisoden unterbrochen wird.

Abbildung Schlafprofil

Das reale Schlafprofil eines 39jährigen: Die relativ geringe Bettliegezeit von 6h bedingt in diesem Fall einen relativ hohen Tiefschlafanteil. Trotz dem subjektiven Eindruck, durchgeschlafen zu haben, zeigen sich insgesamt acht kurze Aufwachphasen.

Diese kurzen, häufig nur eine Minute dauernden Aufwachphasen sind ganz normal (sie nehmen übrigens im Alter deutlich zu!), werden aber - wenn sie eine bestimmte Zeitgrenze nicht überschreiten (ca. 4 Min.) - am nächsten Morgen gar nicht erinnert. Gerade in der zweiten ohnehin weniger "tiefen" Nachthälfte erleben schlafgestörte Menschen das häufige Kurzerwachen und die dazwischen liegenden Leichtschlafphasen als durchgehende Wachperiode. Oft reicht dann aber auch schon die Sorge und der Ärger darüber, wieder wachgeworden zu sein, dass aus dem kurzen Aufwachen tatsächlich eine längere Wachphase wird.

 

Zusammenfassend kann man hier festhalten, dass der erholsame Schlaf durch das zeitlich entsprechend geordnete Auftreten der fünf Schlafstadien gekennzeichnet ist. Kurze Aufwachepisoden sind dabei ganz natürlich.