Teufelskreislauf Schlafstörung
"Warum hören Schlafstörungen von alleine nicht auf?"
Zu den beunruhigsten Erfahrungen eines Schlafgestörten gehört es, dass seine Schlafstörung völlig unvorhersehbar, unkontrollierbar und scheinbar ohne jede erkennbare Ursache auftritt. In der Psychologie spricht man von einer sog. "Verselbständigung" der Störung. Bei vielen chronischen Schlafstörungen tritt eine solche Verselbständigung schon innerhalb der ersten Wochen auf und dauert dann oft jahrelang an. Von daher ist es wichtig, dass man neben den auslösenden Faktoren wie Krankheiten und Stressfaktoren auch diese verselbständigten Anteile in einer Therapie bei chronischen Schlafstörungen berücksichtigt.
Wie kommt es zur Verselbständigung?
Die Verselbständigung einer Schlafstörung bzw. der Teufelskreislauf, der immer wieder zu schlafgestörten Nächten führt, setzt sich aus verschiedenen psychologischen und physiologischen/körperlichen Faktoren zusammen. Am besten kann man ihn verstehen, wenn man sich in die Situation eines Betroffenen hineinversetzt, der am Abend gerade zu Bett geht oder nachts gerade wach geworden ist.
Für die meisten Patienten ist diese Situation alles andere als unbefangen. Aufgrund der Erfahrung mit den Qualen schlafloser Nächte stellt sich bei ihnen automatisch der Gedanke ein: "Wie wird die Nacht werden? Hoffentlich kann ich schlafen." Bewusst oder unbewusst sind mit diesem Gedanken weitere Gedanken bzw. vorgestellte Konsequenzen verbunden:
- Ich werde wieder stundenlang wachliegen, grübeln, mich quälen.
- Wie soll ich den nächsten Tag schaffen, wenn ich nicht ausgeschlafen bin.
- Irgendetwas stimmt in meinem Kopf nicht, dass ich überhaupt nicht mehr richtig schlafen kann.
- Wenn es so weitergeht, werde ich krank oder verrückt werden.
- Wenn es so weitergeht, werde ich noch meinen Arbeitsplatz verlieren
- Ich bin nicht mehr derselbe wie früher, weil ich so schlecht schlafe
- Die Schlafmittel, die ich nehme, werden mich abhängig machen.
Diese Gedanken lösen unmittelbar negative Gefühle wie Misstrauen, schlechte Stimmung, Angst, Anspannung aus. Bei vielen Patienten ist diese Kopplung aus Gedanken und Gefühlen so eingeschliffen, dass sie auf die Frage "Gehen Sie noch gerne ins Bett?" allenfalls mit "Jain", viele aber auch mit einem klaren "Nein, das Bett ist für mich ein Ort des Schreckens geworden" antworten.
Körperlich führen diese Gefühle zu einem Erregungsanstieg bzw. zu einer Zunahme von Wachheit. Diese körperliche Reaktion erleben viele Patienten in der Form, dass sie todmüde zu Bett gehen, dann aber plötzlich hellwach sind. Andere körperliche Reaktionen können sein: Angespannte Muskeln, Herzklopfen, Schwitzen, gedanklich nicht abschalten können, Grübeln (das nächtliche Grübeln dreht sich nicht unbedingt um tatsächliche Probleme, häufig sind es Banalitäten, um die die Gedanken zwanghaft kreisen).
Die Konsequenz aus dieser Reaktionskette von Gedanken, Gefühlen und körperlicher Reaktion ist die erneute Erfahrung von Schlaflosigkeit und diese Erfahrung löst dann spätestens am nächsten Abend wieder erneute Gedanken wie oben beschrieben aus. Man dreht sich verzweifelt im Kreis und kommt nicht heraus.
Als Folge dieser anhaltenden Schlaflosigkeit beginnen viele Patienten Verhaltensgewohnheiten zu verändern, um irgendwie mit der Schlafstörung klar zu kommen. Oft handelt es sich dabei aber um Verhaltensänderungen, die zwar kurzfristig eine Linderung bringen (z.B. am Wochenende morgens länger im Bett liegen bleiben), die langfristig aber zu dem Teufelskreislauf beitragen. Solche sog. "dysfunktionalen" Verhaltensgewohnheiten (siehe auch "Schlafhygiene") sind:
Gewohnheiten, die zur Aufrechterhaltung der Schlafstörung beitragen
- Man geht früher bzw. zu unterschiedlichen Zeiten zu Bett, um jeweils den richtigen Müdigkeitspunkt abzupassen: Unregelmäßige Zubettgehzeiten instabilisieren unseren inneren biologischen Rhythmus, der auch unser Schlafen steuert (siehe "biologische Rhythmen"). Der Körper kann sich als Folge nicht auf einen festen, quasi vertrauten Zeitpunkt einstellen.
- Man steht - insbesondere am Wochenende - später auf als sonst üblich. Viele Patienten können häufig erst in den frühen Morgenstunden überhaupt in den Schlaf finden, von daher ist es sehr verständlich, dass sie das Wochenende nutzen, um dann länger zu schlafen. Ähnlich wie bei der wechselnden Zubettgehzeit wird hierdurch der biologische Rhythmus durcheinandergebracht. Die Folge ist: Insbesondere in den Nächten von Sonntag auf Montag und Montag auf Dienstag treten Schlafstörungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf als sonst.
- Kurzschlafphasen am Tage: Um den mangelnden Schlaf in der Nacht auszugleichen, legen sich viele - insbesondere ältere Patienten - tagsüber hin. Auch wenn die meisten berichten, dass sie während dieser Zeit gar nicht richtig schlafen, allenfalls nur dösen könnten: Solche Ruhephasen am Tage tragen zu einer Reduzierung des Schlafdruckes und damit zu Schlafstörungen bei.
- Kurzes Einnicken vorm Fernseher: Bei einigen Patienten mir chronischen Schlafstörungen kommt es vor, dass sie öfters am Abend vorm Fernseher für wenige Minuten einnicken oder eindösen. Diese häufig nur sehr kurzen Momente reichen aus, um den Schlafdruck erheblich zu reduzieren und direkt Ein- oder Durchschlafstörungen zu verursachen.
- Alkohol als Schlafhelfer: Viele Patienten helfen der nötigen Bettschwere mit einem oder zwei Glas Wein (oder sonstigen alkoholischen Getränken) nach: Tatsächlich verbessert Alkohol das Einschlafen, aber schon relative geringe Mengen Alkohol führen zu einer erheblichen Störung der zweiten Nachthälfte.
- Lange Bettliegezeiten: Um genügend Schlaf quasi "zusammenzukratzen" verbringen Schlafgestörte häufig überdurchschnittlich viel Zeit im Bett. Da sie einen Großteil der Zeit wachliegen, grübeln, sich ärgern, kommt es zu einem verhängnisvollen "Lernprozess". Während für einen gesunden Schläfer das Schlafzimmer und Bett ein "angenehmer Ort" der Erholung sind, wird für viele Schlafgestörte Menschen das Bett zum Ort des Schreckens: statt mit angenehmen Schlaf ist das Bett mit unangenehmen Wachliegen, Grübeln, Sorgen usw. verbunden. Es sind diese sich im Laufe langer Jahre allmählich verfestigenden Assoziationen, die mit dazu beitragen, dass ihr Körper schon mit einer entsprechenden Anspannung reagiert, wenn Sie z.B. tagsüber an die kommende Nacht denken oder sich am Abend zu Bett begeben.
- Aus Sorge nicht genügend Schlaf zu bekommen, wird in der Nacht immer wieder kontrolliert, wie spät es ist. Der Blick auf den Wecker und das Ausrechnen, wie viel Stunden einem noch bis zum Aufstehen verbleiben, führt dazu, dass die Unbefangenheit gegenüber dem Schlaf verloren geht.
- "Schonhaltung am Tage": Wegen der ständigen Müdigkeit, aber auch um am Abend die richtige Ruhe zu finden, beginnen viele Schlafgestörte tw. schon am Tage, insbesondere am Abend immer weniger Freizeitaktivitäten nachzugehen. Hobbies und soziale Kontakte werden mehr und mehr vernachlässigt, das gesamte Aktivitätsniveau nimmt ab. Die Folge ist ein weiterer Teufelskreislauf aus zunehmend verminderter Lebensqualität und Unzufriedenheit bis hin zu Depressionen und Vereinsamung, was sich weiter negativ auf den Schlaf auswirken kann.
- Weitere Fehler, die man im Umgang mit Schlafstörungen machen kann, finden sich unter den "Schlafhygiene - Regeln des gesunden Schlafes".
Die Graphik fasst noch einmal das gesamte Erklärungsmodell zusammen:
Ein Teil der oben angesprochenen Gedanken (z.B. Ich muss acht Stunden schlafen) als auch der entsprechenden Verhaltensgewohnheiten beruht darauf, dass Schlafgestörte zu wenig Wissen über die Natur des normalen und gesunden Schlafes haben (z.B. gehört zum gesunden Schlaf eines 50jährigen durchaus, dass er ein- oder mehrere Male in der Nacht wach wird). Jeder Schlafgestörte sollte sich daher zu einem Experten in eigener Sache machen (siehe "Schlaf allgemein").